Kolumne "Geistreich": Und die Moral von der Geschichte

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

© BRSNW

Haben Ihnen Ihre Eltern früher auch Märchen vorgelesen? Oder lesen Sie Ihren Kindern/Enkeln Märchen und Geschichten vor? Dann wissen Sie, dass viele dieser Fabeln, Märchen und Geschichten mit dem Satz: "Und die Moral von der Geschichte..." enden. Man kann die Inhalte der Märchen unterschiedlich interpretieren. Ganz sicher sind nicht alle Märchen und Geschichten als pädagogisch wertvoll einzustufen und zum Teil mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem, so liest man manchmal,  können diese Formen der Erzählungen dem (meist jugendlichen) Zuhörer zeigen, um welche Werte es idealer Weise in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben geht. Etwa Ehrlichkeit, Verantwortung, Hilfsbereitschaft, soziales Engagement. Und es zeigt sich auch, dass Schurken und Bösewichte zum Schluss das kriegen, was sie verdienen, denn in der Regel enden die Geschichten so, dass gutes, moralisches Verhalten belohnt wird und der Bösewicht seine gerechte Strafe erhält. Wie der Wolf, der in den Brunnen fällt und ertrinkt, oder Max und Moritz, die geschrotet und vom Federvieh des Müllers aufgepickt werden.
Soweit meine theoretische Sicht auf die alten Märchen und Geschichten und die Vermittlung von moralischem Verhalten.
Nun kann ich als kinderloser und damit auch enkelloser Rentner nicht einschätzen, wie verbreitet solche Märchen heute noch in den Vorlesestunden sind, und ob Kinder von heute damit überhaupt noch etwas anfangen können. Grundsätzlich hege ich aber Zweifel daran, dass solche Märchen einen persönlichkeitsbildenden Effekt haben. Wie sonst wäre zu erklären, dass viele, denen früher sicherlich Märchen, Fabeln und Geschichten erzählt oder vorgelesen wurden, heute selbst die größten Märchenerzähler sind. Sie tischen den Leuten die tollsten Märchen auf, aber leider im negativen Sinn. Es wird gelogen, betrogen und verschleiert was das Zeug hält. Von Wirecard, Cum-Ex-Geschäften bis hin zu Autobahnmaut und bestechlichen Sportfunktionären.
Selbst in der katholischen Kirche, die die moralischste Institution sein sollte, die wir kennen, werden Gutachten über die Taten einiger Mitglieder zurückgehalten. Es gibt unendlich viele Beispiele. Besonders auch in der "großen" Weltpolitik. Da wird geleugnet, was eigentlich jeder weiß. Auftragsmorde, Manipulationen über Computernetze, Einflussnahme auf Wahlen und die öffentliche Meinung mit gefälschten Meldungen - alles um sich Vorteile zu verschaffen oder anderen zu schaden. Hauptsache der Schein nach außen bleibt erhalten und man kann sich selbst in positiver Weise darstellen. Da fallen mir natürlich zuerst die üblichen Verdächtigen ein: Nordkorea, Russland, China, die kennt man. Aber auch bei uns in der EU gibt es genug Märchenerzähler in Ländern, die die eigene Bevölkerung mit gezielten Falschmeldungen manipulieren und wo Korruption und Vetternwirtschaft noch lange nicht überwunden sind.
Für mich ist das krasseste Beispiel wohin diese aus Eigeninteresse in die Welt gesetzten Märchen führen können der Golfkrieg gegen den Irak. Erinnern Sie sich noch an die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen, die dann zum Krieg der Amerikaner gegen Saddam Hussein geführt haben? Die existierten bekanntlich nicht. Für mich ist das eine der Ursachen für den heutigen islamistischen Terror in der Welt und 9/11.
Und auch die vergangenen vier Jahre haben gezeigt, wohin man mit Lügengeschichten und "alternativen Fakten" kommen kann. Bis ins Weiße Haus und auf den Posten eines der mächtigsten Menschen auf diesem Planeten. Gut, dass es eine Mehrheit gab, die es satt war sich belügen und verdummen zu lassen. Das weckt Hoffnung auf eine aufrichtigere Zukunft, in der die oben genannten Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung, Hilfsbereitschaft und soziales Engagement das Leben für alle lebenswert machen. Und das ist dann auch die Moral von der Geschichte: Wenn wir auf diesem Planeten ein gutes Leben haben wollen, dann geht das nur gemeinsam. Mit Achtung, Wertschätzung und gleichen Chancen. Sonst wird man abgewählt.

Aber Schluss damit. Das ist jetzt viel zu viel Politik für eine Seniorenkolumne.
Allerdings ist es für uns Ältere schon von Vorteil, so manche Entwicklungen live miterlebt zu haben. Dann kann einem niemand so leicht ein Märchen erzählen, denn viele Fakten kennt man noch aus eigener Erfahrung und dann entwickelt man schon eine gesunde Skepsis gegenüber großen Versprechungen und skurrilen Behauptungen.

Herzlich grüßt

Andreas Geist