Schwimmen ist für alle neu - Interview mit der neuen Projektkoordinatorin "Auf einer Wellenlänge"

Carolin Birke ist seit dem 1. September 2022 Projektkoordinatorin von „Auf einer Wellenlänge – inklusiv aktiv“, einem Projekt des Schwimmverbandes NRW (SV NRW) und des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes NRW (BRSNW), das Menschen mit und ohne Behinderung zum Schwimmen bringen soll.

Im Interview spricht die 27-Jährige darüber, wie sie selbst schwimmen gelernt hat, warum Menschen mit und ohne Behinderung im Wasser alle von vorne anfangen müssen und wieso ein Schwimm-Abzeichen niemals Ängste schüren sollte.

Du bist seit dem 1. September im Job. Hast Du dich nach vier Arbeitstagen schon eingelebt?

Ja, sehr sogar. Ich habe viel Organisatorisches geklärt und starte am Wochenende schon direkt mit der Jugendlehrgangstagung des SV NRW. Ich bin sehr gespannt, was mich erwartet. Ich lese mich ein, erstelle einen Projektstrukturplan und lerne viele Leute kennen, mit denen ich mich vernetze. Ich muss erst mal sehen: Wer ist für was verantwortlich? Heute Abend werde ich direkt zum Training nach Soest mitgenommen, da gucken wir uns die Schwimmschule an.

Wie stellst Du dir deine tägliche Arbeit vor?

Im September bin ich viel unterwegs. Ich bin auf der Rehacare-Messe, bei einem Aktionstag an der Blindenschule, beim Fachkongress Inklusion im Sport vom Landessportbund. Ich evaluiere alles, sammle Daten und baue mir erstmal eine Basis auf. Netzwerkaufbau, Projektplanung, die Erstellung von Materialien und Konzepten – das ist mein erster Fokus.

Du hast an der Sporthochschule in Köln Sport und Gesundheit in Prävention und Therapie studiert, in Edinburgh den Master gemacht in klinischer Sporttherapie und als Sporttherapeutin gearbeitet. Was hat dich zu der Stelle gebracht?

Nach dem Studium wollte ich in die Praxis und bin dann als Sporttherapeutin nach Bad Oeynhausen gekommen. Ich dachte: Ich muss mal in der Reha arbeiten und sehen, wie Reha mit erkrankten Kindern und mit Kindern mit einer Behinderung ist. Ich wollte aber sehr gerne in die Projektarbeit einsteigen, da was erreichen und anwenden aus dem Studium. Ich habe vorher schon viel Anfängerschwimmen gemacht und kann jetzt die Praxis mit der Projektarbeit verbinden.

Hast Du einen Background im Schwimmen?

Eigentlich gar nicht, ich komme aus der Leichtathletik und habe ab und zu Handball gespielt im Studium. Ich war aber immer Hobbyschwimmerin. In meinem Job als Sporttherapeutin habe ich zu 80 Prozent Anfängerschwimmen im Therapiebereich gemacht und bei der DLRG beim Projekt „Seepferdchen für alle“ habe ich mich zur Ausbildungsassistentin Schwimmen ausbilden lassen. In Paderborn, wo ich noch wohne, dachte ich: Such dir was, wo du Anschluss findest. Da bin ich der DLRG-Ortsgruppe beigetreten und wenn die Zeit es zulässt, möchte ich ehrenamtlich Seepferdchen-Abzeichen abnehmen, weil eine hohe Nachfrage ist.

Wie hast Du selbst Schwimmen gelernt?

Das war bei mir im Heimatort in Rheydt im alten Schwimmbad – ein echtes Steinzeitschwimmbad – im klassischen Schwimmkurs mit vielen anderen Kindern einmal die Woche. Aber nie leistungsbezogen, nur für die Abzeichen, dass man gut schwimmen kann. Jetzt habe ich den Rettungsschwimmer in Silber und nach dem Abi als Aushilfs-Schwimmmeisterin gearbeitet. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich vielleicht doch einen Schwimm-Background.

Gerade für Menschen mit einer Behinderung ist Wasser oft ein Bewegungserlebnis, weil sie sich ohne Hilfsmittel fortbewegen können. Wann hattest du mal solche Aha-Erlebnisse?

Wenn ich Kurse gegeben habe, waren da oft Kinder mit und ohne Behinderung. Das war eins zu eins Inklusion. Schwimmen ist für alle neu. Das fand ich so schön, dass alle die Grundfertigkeiten neu erlernen müssen. Alle fangen gemeinsam bei null an und probieren das Ziel zu erreichen, schwimmen zu lernen. Das ist im Wasser deutlich leichter als an Land. Da hatten wir Kinder mit einer Hemiparese, die es genauso schnell gelernt haben wie andere ohne Behinderung. Generell ist Wasser an sich super, es ist gesundheitsfördernd, man hat weniger Belastung. Da ist dann eher die Barrierefreiheit das Problem.

Warum sollte Schwimmen für alle zugänglich sein?

Damit eine allgemeine Teilhabe ermöglicht wird. Alle sollen im Alltag Freibadbesuche machen und am sozialen Leben teilnehmen können. Und dafür sollten alle sicher schwimmen können, dass man in der Freizeit mit Freunden baden gehen kann. Da steht für mich das Soziale sehr im Vordergrund.

Was erhoffst du dir von den Vereinen, Kommunen und Verbänden, auf die Du als Projektleiterin treffen wirst?

Ich hoffe, dass sie Interesse haben und offen sind für Inklusion. Dass sie sensibilisiert sind, sich informieren und was erreichen wollen. Ich möchte nicht hören: ‚Wir wissen das, Inklusion ist ein großes Thema, aber eigentlich...‘ Es wird oft viel gesprochen, aber in der Umsetzung ist alles anders. Ich hoffe, dass wir mit tollen Angeboten das Interesse der Vereine wecken und diese dann voll dabei sind. Es gibt zwar schon zertifizierte Schwimmschulen – aber da geht noch mehr.

Was habt Ihr mit dem Projekt alles vor?

Das ist ganz schön viel, was wir uns vorgenommen haben und durchführen wollen. Dazu zählen Qualifizierungs- und Beratungsangebote, eine Zertifikatsausbildung zum Inklusions-Coach und wir wollen ein eigenes Schwimm-Abzeichen sowie im Präventionsbereich inklusive Aqua-Fitnessangebote für Menschen mit und ohne Behinderung entwickeln. Und wir unterstützen Vereine und Schwimmschulen dabei, barrierearme Voraussetzungen zu schaffen. Die können dann als Inklusionsstandorte zertifiziert werden.

Du sprichst das inklusive Schwimm-Abzeichen an. Gibt es da schon Ideen?

In der Arbeit in der Reha ist mir aufgefallen, dass das nicht nur für Menschen mit Behinderung ein Thema ist. Ich habe da mit Kindern gearbeitet, die Herzerkrankungen hatten. Die durften nur kurz tauchen, müssen aber fürs Seepferdchen tief tauchen und einen Ring aus dem Wasser holen. Und als ich das Seepferdchen abgenommen habe, habe ich mich gefragt: Ist das nötig? Es gibt sonst keine Alternative, muss das so fix sein? Wenn dann ein Kind sagt, ich kann das nicht und darf das nicht, dann denke ich: Wir wollen mit einem Abzeichen ja niemanden verschrecken oder Ängste aufbauen. Im Vordergrund steht doch das sichere Schwimmen – und Freude sollte es auch bringen.

An vielen Orten hört man, dass die Wartelisten für Schwimmkurse lang sind. Wie lässt sich das Problem lösen?

Erstmal muss man gucken: Woran liegt das, da gibt es mit Bäderschließungen und Bäderbelegungen, Personalengpässen und Corona ja einige Baustellen. Ich habe in der Reha mitbekommen, dass da einige Kinder zwischen sieben und acht Jahren schon mal schwimmen konnten, durch die Pandemie aber zwei Jahre lang nicht schwimmen waren und es wieder verlernt haben. Da müssen die Wartelisten logischerweise doppelt so lang sein, gefühlt gibt es aktuell Fünf- bis 15-Jährige, die man noch mal zum Seepferdchen-Kurs schicken müsste. Und dann spielt auch das Finanzielle oft eine Rolle, weil es kostspielig ist, die Kinder zwei Mal zum Schwimmkurs anzumelden.

Was würdest Du aktuell einem Kind mit einer Behinderung sagen, das schwimmen lernen möchte?

Ich würde ihm sagen, dass ich ihm weiterhelfen kann und versuche, das Kind an einen Schwimmverein zu vermitteln. Da gibt es schon einige Kontakte zu Vereinen und Schwimmschulen, in denen das möglich ist, aber noch viel zu wenige.

Das Projekt läuft drei Jahre. Was muss passieren, dass Du 2025 Ende August happy bist?

Wenn genügend Schwimmschulen sich öffnen, zertifiziert sind und es geschafft haben, Inklusion in ihren Verein einzubauen. Und dass das gar kein großes Ding mehr ist, sondern Menschen mit Behinderung auch wissen: Wir können in alle Schwimmschulen in NRW gehen und teilnehmen.