Kolumne "Geistreich": Woher der Wind weht

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

Foto © Andreas Geist

Wer weiß, woher der Wind weht, hat den Durchblick und kann die richtigen Entscheidungen treffen. Dagegen ist es nicht leicht ein Ziel zu erreichen, wenn man nicht weiß, was um einen herum gerade so vor sich geht. Ein ganz banales Beispiel ist der Stau auf der Autobahn. Radio nicht eingeschaltet und Verkehrsfunk verpasst oder Navi mit TMC nicht genutzt: Da stehst du regelmäßig im dicken Stau, gerade hier in NRW. Deshalb sollte man sich immer gut bei vertrauenswürdigen Quellen informieren  und sich auf das verlassen, was man selbst sieht, hört oder sonst irgendwie erlebt hat und bewerten kann. Aber was Andere sagen? Ich bin da vorsichtig geworden!

Nehmen wir die Werbeversprechen. Wir Rentner sind für die Wirtschaft ja eine äußerst lukrative Zielgruppe. Denn man kann davon ausgehen, dass - auch wenn die Renten schmal sind - irgendwo der eine oder andere Spargroschen vorhanden ist. Ganz besonders die Pharmaindustrie reibt sich da die Hände. Denn der gemeine Rentner vereint einige Gewinn versprechende Eigenschaften. Oft hat er ein kleines Sparguthaben, das er ohnehin in absehbarer Zeit nicht mehr nutzen kann, was die Bereitschaft fördert sich etwas Gutes zu tun. Das ist die perfekte Ergänzung zur naturbedingten Eigenschaft des Alterns. Dies bringt verschiedene, typische Veränderungen mit sich.  Es zwickt hier und da, die Haare werden dünner, man(n) muss öfters zur Toilette, ist allgemein schneller müde und weniger leistungsfähig. Was wiederum die Hemmschwelle senkt, Geld für allerlei Mittelchen auszugeben, die laut Werbung wieder fit und leistungsfähig machen.
Wenn Sie einen schnellen Überblick über Alterserscheinungen beim Menschen haben möchten, schauen Sie einfach mal die Werbung am frühen Abend im Fernsehen an. Denn die Marketingabteilungen der Pharmaindustrie wissen, dass ältere Leute dann gerne die Füße hochlegen und auf die Tagesschau warten. "Oh, sie haben müde Beine? Da haben wir was für Sie, was die Venen stärkt!"
Die Gelenke schmerzen und  wollen nicht mehr so richtig? Tja, dann werden die Enkel wohl bald nicht mehr zu Besuch kommen. Ist ja langweilig, wenn man nicht draußen zusammen spielen und Sport treiben kann. "Aber da haben wir was für Sie! Salbe aus der gelben Tube. Einfach auftragen und rum toben“. Bei dem Zeug steht auf dem Beipackzettel vermutlich auch, dass Sie es außerhalb der Reichweite von Hunden aufbewahren sollen. Der vergräbt die Salbe sofort im Garten, weil er sonst so lange Spaziergänge mit Ihnen machen muss. Es gibt Werbespots, die sind dermaßen blöd...
Prostataprobleme? Nachts mehrfach raus müssen? "Kein Problem mit unserem Mittel! Sie müssen weniger und können öfter, denn es schont die Sexualfunktion!" Als ob die sich nicht von selbst schont in diesem Alter.
Nachlassende Antriebskraft und Leistungsfähigkeit? Die Konzentration lässt nach? Bestimmt ein Vitamin B12 Mangel. "Aber da haben wir was für Sie!" Einfach Ampulle leer trinken und vital los sprinten.
Ich wette, Sie kennen auch diese Werbung, wo zwei Senioren mit einem kleinen Mädchen Memory spielen. Das Mädel macht ein langes Gesicht, weil der eine Opa immer gewinnt. Warum? Er nimmt regelmäßig ein Ginkgopräparat ein, das das Gedächtnis auf Trab bringt - angeblich.

Für mich ist das überwiegend Geldschneiderei. Ich halte ausreichende körperliche Belastung bei ausgewogener und abwechslungsreicher Ernährung immer noch für die beste Prävention und Medizin gegen Alterserscheinungen. Und wenn man dann seine Freizeit aktiv gestaltet und viel an der frischen Luft ist, tut das Körper, Geist und Seele gut.
Als Ergänzung zu einem Ausdauer- und leichten Krafttraining kann ich übrigens das Segeln sehr empfehlen. Es muss ja nicht Regattasegeln sein. Gemütlich bei ein bisschen Wind und Sonne über den See kreuzen, die Seele baumeln lassen oder auch am Steg gemütlich auf dem Boot sitzen und ein Schwätzchen halten. Herrlich. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit einem Freund vor ein paar Jahren auch ein altes Boot gekauft und renoviert. Wir freuen uns immer auf den Beginn der Wassersportsaison und das Slippen des Bootes.

Im Winter wird das gute Stück aufpoliert und gewartet und so Mitte April geht es los. Mittlerweile haben wir schon eine gewisse Routine beim Aufstellen des Mastes. Spannen der Wanten, Segel anschlagen usw. und auch dieses Jahr hat es reibungslos geklappt. Sogar in rekordverdächtig kurzer Zeit. Mit einem kleinen Elektromotor  sind wir zu unserem Liegeplatz geschippert und haben überlegt, dass wir eigentlich auch noch einen kleinen Schlag machen könnten. "Woher kommt denn der Wind?" fragte mein Freund Reinhard.
Bei dieser Frage legen Segler weltweit den Kopf in den Nacken und schauen zur Mastspitze. Denn da sitzt normalerweise der Verklicker. Im Prinzip ein Fähnchen, das anzeigt woher der Wind weht und das braucht man, um den richtigen Kurs zu steuern.  Sie ahnen es bereits. Da war kein Verklicker. Wir hatten vergessen das Teil am Top zu befestigen. Da nützt alle Routine und Schnelligkeit nichts. Da  müssen wir wieder von vorne anfangen und den Mast wohl noch einmal umlegen.

Wie so eine Peinlichkeit passieren konnte? Keine Ahnung. Aber ich frage mich, ob das dem Memory spielenden Opa auch passiert wäre...

Mit einem nachdenklichen Ahoi grüßt

Andreas Geist