Kolumne "Geistreich": Phrasen dreschen

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

An den besonders heißen Tagen im Juli habe ich mich bevorzugt in meiner relativ kühlen Wohnung aufgehalten. Lesend, was dank operierter Augen wieder gut geht, oder auch vor dem Computer. Dabei bin ich beim Westdeutschen Rundfunk auf einen Beitrag des Kabarettisten Winfried Schmickler gestoßen, den ich sehr gerne höre und sehe. Was ich in seinem Podcast hörte, machte mich neugierig, denn die zitierten Sätze erinnerten mich an meine Studentenzeit. Damals hatte ich eine Phrasendreschmaschine, die damals noch aus Pappe und nicht digital war und damit über ein sehr begrenztes Potential verfügte. Dennoch konnte man jedes Treffen im Freundeskreis mit absolut sinnfreien, aber wichtig und relevant klingenden Worthülsen aufheitern, indem man an mehreren runden Scheiben beliebige Wortkombinationen einstellte. Natürlich war das dann auch relativ schnell ausgereizt, aber lustig war's allemal.
Nun mag es sein, dass ich im fortgeschrittenen Alter hinter dem modernen Sprachgebrauch etwas zurück geblieben und nicht mehr "up to date" bin. Daher versuche ich vorsichtig zu formulieren und nicht übertrieben zu lästern. Trotzdem könnte ich mir auf die Schenkel hauen vor Vergnügen ob des Blödsinns, der so gesagt und geschrieben wird. Da fallen auf einer "saisonalen Trendinformations-Veranstaltung des Deutschen Mode-Instituts" die Worte: „Wir erleben den größten Umbruch, den wir seit Anbeginn der Aufzeichnungen kennen". Geht es um Klima, Umwelt, Energiewende oder sonst etwas Weltbewegendes? Nö! Es geht um Mode und Lifestyle, Farben, Schnittmuster und wie man möglichst viel an "modebewusste" Frauen verkauft (sorry - nicht genderkonform - aber im Artikel geht es nur um Konsumentinnen!).
Seit Anbeginn der Aufzeichnungen! Ich wette einen Kaiserschmarrn darauf, dass die zitierte Österreicherin keinen Schimmer hat, wie sich historisch die Kleidung der Menschen entwickelt hat. Von römischen Ledersandalen bis zur Goretex-Membran in Funktionskleidung. Aber das ist auch wurscht. Phrasen dreschen und schwadronieren muss man können, dann wird man auch was. Nicht nur in der Modebranche, bis vor Kurzem ggf. auch in einem Verkehrsministerium. Bayrische Wurzeln sind da nicht von Nachteil. Aber das ist nur meine persönliche Meinung und kein politisches Statement.
Jedenfalls hat das DMI, das Deutsche Modeinstitut, in seinen tiefgehenden Erörterungen und Vorträgen festgestellt, dass der Sommer durch Dopamine-Dressing gerettet werden kann!
Dä! Noch so ein Klopper der Marketing-Experten. Gut, ein kleines bisschen sind wir im Behindertensport da auch Experten und kennen Dopamin als wichtiges Hormon und Neurotransmitter. Ist Dopamine-Dressing jetzt so etwas wie ein Nikotinpflaster in der Raucherentwöhnung, nur zur Linderung der Symptome von Parkinsonpatienten?
Leider nein. Auf der Internetseite des Magazin "Jolie" (aber auch bei anderen Magazinen!) fand ich die Erklärung: " Mit Dopamine Dressing entscheidest du dich aktiv für Outfits und Accessoires, die dir gute Laune bringen und das Glückshormon Dopamin ausschütten. Somit wirkt sich dieser Modetrend positiv auf die mentale Gesundheit aus." Da frage ich mich, wie kann das denn sein? Und auch darauf gibt es dort die Antwort: "Prints sorgen im tristen Alltag für positive Vibes"! Alles klar?
Mir ist zumindest klar geworden, dass mancherorts so viel SCH...rott geschrieben und geredet wird, dass es weh tut.
Die Modeexperten, -berater, Strategieberater im Lifestyle-Sektor und was sich sonst noch in dem Bereich tummelt sind für mich nur Plagiaten. Dass Farbe, individuelle Kleidung und Accessoires gut für die Stimmung sind, wissen die Karnevalisten an Rhein und Ruhr - und nicht nur da - seit Generationen. Und wissen Sie was? Ich gönne mir jetzt einen eiskalten Riesling oder zwei. Denn auch das weiß "Jolie": Blau: Diese Farbe strahlt Loyalität und Vertrauen aus und hat einen positiven Effekt auf Körper und Geist.

Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen und bleiben Sie gesund!

Andreas Geist