Kolumne "Geistreich": Kaum zu glauben

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

Meine Kinder- und Jugendzeit war geprägt durch eine römisch-katholische Erziehung, sowohl im Elternhaus als auch in der Volksschule. So hießen die Grundschulen damals noch und hatten auch eine konfessionelle Ausrichtung. Es war grundsätzlich keine schlechte Zeit. Alles, was den Lauf der Welt beeinflusste, war ja von oben kontrolliert und für die gelegentlichen, kleinen Abweichungen vom Pfad der Tugend gab es einen Reset-Knopf in Form der Beichte und gegen ein paar halbherzig gemurmelte Gebete.
Wenn ich so zurück denke, wird mir klar, dass der "Glaube" als eine Grundhaltung des Vertrauens in das, was die Erwachsenen uns so erzählt und gelehrt haben, damals wirklich vorhanden war. Man konnte den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen, aber das Vertrauen, dass man nicht belogen wird und die Aussagen der Erwachsenen redlich sind, war vorhanden. Moral und ethisches Verhalten hat man einfach nicht in Frage gestellt.
Allerdings bekam diese schöne Fassade vor der Wirklichkeit ziemlich schnell Risse. Osterhase und Christkind blieben zuerst auf der Strecke. Den Klapperstorch hat es relativ bald danach erwischt.
Mit der Fähigkeit, ein bisschen kritisch nachzufragen und selbst auszusuchen, was man liest und wofür man sich interessiert, begann die Fassade schon schneller zu bröckeln. Überall Widersprüche, Geheimnisse, Intransparenz, Vertuschen, Halbwahrheiten - nicht nur in religiösen Fragen.
Jahre später habe ich geglaubt, mit dem Wahlzettel etwas verändern zu können. Ich glaubte an die Aufrichtigkeit und Redlichkeit der Leute, die man da gewählt hatte, bis die ersten Wahlversprechen wieder einkassiert und die Wunschzettel der Lobbyisten dafür eingearbeitet wurden. Kein Wunder, wenn man sich einmal die Liste der Personen anschaut, die von der Politik in die (Auto-)Industrie gewechselt sind oder umgekehrt. Wie dem auch sei, inzwischen ist die Fassade nur noch eine Ruine. Seit ich selbst ein paarmal mit einem Bildbearbeitungsprogramm gearbeitet habe, weiß ich auch, nicht einmal dem, was Du an Bildern siehst, darfst du vertrauen.

Inzwischen glaube ich: Der Glaube an Moral und Ethik hat ausgedient. US-Präsident Donald Trump, jetzt etwa zwei Jahre im Amt, hat, wie eine Aufstellung der "Washington Post" Anfang des Jahres belegte, 7546 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt. Berichte darüber werden als Fake News, gefälschte Nachrichten, tituliert. Konsequenzen hat das nicht. Immerhin, aus Kirchen , Vereinen oder anderen Organisationen, sogar aus der Ehe kann man austreten, wenn gelogen und betrogen wird und das Vertrauen schwindet. Versuchen Sie das mal mit der Staatsangehörigkeit.

Jetzt könnte man laut Skandal schreien, aber ein Skandal ist ja etwas außergewöhnliches, nicht alltägliches. Lügen und Betrügen ist offenbar zu rechtfertigen, wenn es einem selbst oder begünstigten Personen hilft. Sogar eine meiner bevorzugten Informationsquellen, den "Spiegel", hat es erwischt. Er ist einem Fälscher auf den Leim gegangen. Aber das ist dem "Stern" ja auch schon passiert. Aber dass sich nun neben Fake News auch Fake Science, also gefälschte Studien- und Forschungsergebnisse, verbreiten, erschüttert meinen Glauben nachhaltig. Da werden Dinge veröffentlicht und möglicherweise als Basis für weitere Forschung verwendet, die keiner externen Überprüfung standhalten würden. Es geht scheinbar überall nur noch um den eigenen Vorteil, Ruhm, Macht und Geld. Unwürdig und beschämend finde ich das. Skepsis und Misstrauen sind die Folge.

Manchmal wünsche ich mir den unbeschwerten kindlichen Glauben zurück. Der liebe Gott wird den Lumpen und Spitzbuben in unserer Gesellschaft schon die Rechnung präsentieren und am Ende siegen Aufrichtigkeit und Anstand.

Hier in Thailand, wo ich derzeit noch im Winterquartier bin, ist das etwas anders. Hier glauben die Buddhisten daran wiedergeboren zu werden. Jeder bestimmt durch sein Verhalten in der Gegenwart, wie gut es ihm im nächsten Leben geht. Wer also einigermaßen korrekt lebt, braucht den Tod nicht zu fürchten. Es wird wohl alles besser werden. Wie unerschütterlich dieser Glaube ist, wird jedem klar, der hier am Straßenverkehr teilnimmt. Und wenn unsereins abends unversehrt wieder auf der Terrasse sitzt und ein kühles Bier vor sich hat, kehrt der Glaube an die Schutzengel der Kindheit zurück.

Herzlich grüßt
Andreas Geist

Foto: Andreas Geist