Kolumne "Geistreich": Gewaltig faltig

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

Es ist nicht zu leugnen oder zu kaschieren: Ich werde älter, die Haare werden lichter und die Falten mehr und mehr.
Ich zähle mich nicht zu den Menschen, die mit dem Altwerden ein Problem haben. Die silbernen Haare auf dem schwarzen Umhang beim Friseur akzeptiere ich. Eine Kolorierung käme nicht in Frage. Eine komplette Joggingrunde um die Xantener Südsee schaffe ich auch nicht mehr. Aber flott walkend bewältige ich die Strecke locker. Und überhaupt: Ich kann froh sein, das Altwerden zu erleben und die zahlreicher werdenden Wehwehchen nehme ich gerne in Kauf. Solange ich mobil sein und einigermaßen klar denken kann, ist alles in Butter.

Andere Menschen haben da offenbar deutlich mehr Probleme. Ewige Jugend und ein langes Leben bei bester Gesundheit sind für sie ein erklärtes Ziel. Das mit der Gesundheit würde ich unterschreiben, aber noch einmal 20 sein und dann noch 40 Jahre arbeiten müssen – nein danke!

Die, die es sich leisten können, geben einen Haufen Geld für Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetik und Pflegeprodukte usw. aus, um jünger zu wirken als sie wirklich sind. Auf 472 Milliarden Dollar wird der Jahresumsatz geschätzt! Um da seinen Teil vom Kuchen abzubekommen, muss man schon kräftig die Werbetrommel für Produkte rühren, von denen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit Sitz in Parma sagt, dass bisher keine einzige Gesundheitswirkung stichhaltig bewiesen werden konnte (Quelle: Der Spiegel). Die müssen es wissen, denn in Parma kennt man sich ja bekanntlich mit getrocknetem und schrumpeligem Fleisch aus.

Wenn Sie abends vor den Nachrichten den Werbeblock ansehen, ist Ihnen bestimmt auch die Werbung z.B. für Kollagenprodukte aufgefallen, für die dort von bildhübschen jungen Frauen geworben wird. Diese Pulver, Trinkampullen, Cremes usw. sollen die Falten glätten, die die jungen Damen noch gar nicht haben. Jugendliches Aussehen in nur vier Wochen erhoffen sich dann auch Leute (ich vermute nicht nur Damen) nicht mehr jugendlichen Alters.
Dafür konsumieren sie kleingemahlene Häute, Sehnen, Schwarten, Knochen und Fischreste, aus denen Kollagen – ein Eiweiß, das unser Körper selbst produziert - gewonnen wird. Natürlich wird das Ganze zuvor gekocht, sterilisiert und mit ein paar Zusatzstoffen versetzt. Die Wirksamkeit wird mit „klinischen“ Studien belegt. Doch oft stützten die sich auf Ergebnisse auf Tier- und Laborversuchen, die keine stichhaltigen Aussagen über die Wirksamkeit beim Menschen zulassen. Ob es sich dabei um Fake-Studien handelt? Die Wissenschaftssendung „Quarks“ des WDR beklagt jedenfalls, dass zwielichtige Firmen massenhaft gefälschte wissenschaftliche Arbeiten erstellen und an Interessierte verkaufen.

Nun, jeder muss selbst wissen, wofür er sein Geld ausgibt und manchmal versetzt der Glaube ja sogar Berge. Warum soll er dann keine Falten glätten können?

Wenn aber Putin und Xi Ping bei ihrem Treffen Anfang September in Peking über ewiges Leben philosophieren, vertiefen sich die Falten auf meiner Stirn. Nur die Lachfalten werden weniger. Klar, die medizinische und technologische Forschung geht weiter und irgendwann kann der Mensch vielleicht 150 Jahre alt werden. Wäre das ein Fortschritt? Ich behaupte nein, eher das Gegenteil.
Die Erde wird jetzt schon über Gebühr ausgebeutet und verschmutzt. Die Folgen kennt jedes Schulkind, außer einem amerikanischen Despoten und seinen Spießgesellen.
Aber das „ewige“ Leben wäre ja auch nicht für uns Normalbürger, sondern nur für die finanzielle Elite. Die sollen sich auch jetzt schon mit Anti-Aging- und Beauty-Mitteln eindecken. Die Kosmetikindustrie will ja schließlich auch leben.
Ich tue das nicht, denn ich weiß ja, dass ein leckeres Stück Fleisch oder jetzt zur Oktoberfestzeit auch eine Schweinshaxe oder sogar ein paar Gummibärchen durch die darin enthaltene Gelatine deutlich mehr Eiweiß als Bausteine für Kollagen liefern als eine Tagesdosis teures Pulver. Es geht aber auch vegetarisch und weniger süß mit Hülsenfrüchten, Eiern, Haferflocken…
Im Augenblick finde ich die Idee mit der Schweinshaxe am interessantesten. Mit Püree, Sauerkraut und einem kalten Bier. Zumindest der Bauch wird dann schön rund und glatt.
 

Kommen Sie gut durch den Herbst

Ihr Andreas Geist