Kolumne "Geistreich": Content Creator

Hier erzählt unser (Un-)Ruheständler Andreas Geist über seine Eindrücke aus dem Leben eines Rentners.

© BRSNW

Obwohl ich mich den Umständen entsprechend gut fühle für jemanden, der stramm auf die 70 zugeht, gehöre ich offensichtlich doch schon zum alten Eisen. Woran ich das gemerkt habe? Ich habe mich mit jungen Leuten an einen Tisch gesetzt und mit ihnen gesprochen. Eigentlich habe ich mehr zugehört. Verstanden habe ich nämlich nicht alles und musste mehrfach nachfragen, was das denn ist, wovon sie gerade sprachen.


Aber der Reihe nach. Ich wohne seit vielen Jahren in einem Haus mit fünf Parteien. Neben der 95jährigen Oma in Parterre bin ich der älteste Bewohner. Wir haben eine sehr gute Nachbarschaft, in der man sich gerne hilft und unterstützt. Im letzten Spätherbst stand eine Aktion „Baum schneiden“ an, für die sich mal wieder kein Hausmeister oder Handwerker finden ließ.
Die Mitbewohner – zum Teil vierzig Jahre jünger als ich – waren aber sofort zur Stelle und übernahmen den Hauptteil der Arbeit, was mich spontan eine Einladung zum Abendessen und Biertrinken aussprechen ließ. Da ich gerne – es gibt Leute, die sagen auch gut - koche der Einfachheit halber bei mir zuhause. Es hat zwar bis in den Mai gedauert, aber dann hat’s geklappt mit einem gemeinsamen Termin. Es gab Lasagne (gelungen!!!), Salat und Xantener Landbier, alternativ Kölsch. Mmmh!


Mein Nachbar Tobias arbeitet an einer Gesamtschule am Niederrhein und steht daher täglich in engem Kontakt mit zahlreichen Schülern und Schülerinnen mit - sagen wir mit sehr unterschiedlichem Niveau. Was er – durchaus glaubwürdig -  so zu berichten hatte, ließ mir den Mund offenstehen. Also aus dem Leben eines Rentners zu berichten ist nett und macht Spaß. Aber was jemand berichten kann, der im Bildungswesen tätig ist, macht mich skeptisch, was die Zukunft unserer Gesellschaft angeht.

Da kommen Schüler mit zwei Handys zur Schule, damit sie, wenn sie im Unterricht ihr Telefon ausschalten und vorne abgeben müssen, trotzdem heimlich weiter daddeln und im Netz surfen können. Da werden SchülerInnen gemobbt, kompromittierende Fotos gepostet und mit bösen Kommentaren versehen, schon bei den 10 bis 12jährigen wird geraucht und gekifft(!). Zugegeben hat der Nachbar es überwiegend mit den Problemfällen zu tun, die besondere Begleitung und Förderung benötigen. Diese wollen sie aber teilweise gar nicht und zucken die Schultern, wenn man nach dem Berufswunsch fragt. Irgendwas mit Medien oder Influencer sind häufige Antworten. Klar, damit beschäftigen sich viele ja ständig und für Einzelne besteht die Möglichkeit mit wenig Arbeit und viel Show ordentlich Geld zu verdienen. Aber das ist beim Berufswunsch „Profifußballer“ ja ähnlich.
Apropos daddeln und Internet: Wussten Sie, dass über die Hälfte der jungen Deutschen zwischen 14- und 19 Jahren regelmäßig Tiktok nutzt? Ob diese Plattform als Informationsquelle für junge Menschen taugt, wage ich zu bezweifeln, zumal sich dort bekanntermaßen viele Lumpen und Meinungsbildner tummeln, die mit gezielten Falschmeldungen und Unwahrheiten Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen wollen. Meinungen sollen geprägt werden, Kritiker und anders Denkende abgespalten und isoliert werden, um selbst Vorteile zu erlangen und neue WählerInnen zu gewinnen. Und Tiktok ist ja nur eine Plattform, die die (nicht nur jungen) Menschen nutzen. Ähnliches soll es bei X (ehem. Twitter), Facebook und anderen Seiten geben. Übrigens hat die AfD-Bundestagsfraktion mehr als 411.000 Follower bei TikTok und mehr als sieben Millionen Likes. Die SPD hat knapp 128.000 Follower und 2,4 Millionen Likes. Die CDU/CSU-Fraktion hat mehr als 20.000 Follower und knapp 250.000 Likes. Wie viele davon auf Markus Söder entfallen ist mir nicht bekannt. (Quelle: Tagesschau.de – s.o.).
Diese Verhältnisse machen mir Bauchschmerzen, aber ich will jetzt nicht ins Politische abgleiten, es ging ja darum, dass ich vieles nicht mehr verstehe, was so gesprochen wird. Das liegt an meinen Ohren, sagt meine Frau. Ich sage, es ist die Flut an Anglizismen, Jugendwörtern und unverständlichen Abkürzungen, die die jungen Leute im Netz und folglich auch im täglichen Sprachgebrauch benutzen.  Da hat eine Firma keinen Geschäftsführer mehr, sondern einen CEO. Dessen Mitarbeiter arbeiten aber nicht mehr in Heimarbeit, sondern im Homeoffice. Ok, das kenne selbst ich und verstehe es auch. Aber was ist mit einem Menschen der „goofy“ ist? Oder was ist cringe, fyp oder g.o.a.t???

Im Internet habe ich eine Seite gefunden, die einige dieser Begriffe erklärt, damit auch ältere Menschen wie ich verstehen was gesprochen wird.
EXKURS: Als gebürtiger Kölner fand ich g.o.a.t sehr interessant. Denn Goat heißt Ziege und der Ziegenbock ist bekanntermaßen das Maskottchen des 1. FC Köln. Allerdings wird diese Abkürzung im Netz mit der Bedeutung „Greatest of all time“ benutzt, was auf den Effzeh definitiv nicht zutrifft. Höchstens bezüglich der Anzahl der Auf- und Abstiege in der Bundeliga.

Wie dem auch sei: Ich werde mich bezüglich neuer und aktueller Begriffe fortbilden müssen, wenn ich nicht wie doof in einer Runde jüngerer Mitmenschen sitzen will, ohne zu verstehen, worüber geredet wird. Allerdings habe ich nicht vor mich bei Tiktok, Instagram, X und Co. anzumelden. Wenn ich meine etwas sagen zu müssen, tue ich es im persönlichen Gespräch mit meinem antiquierten Wortschatz oder gerne auch hier als „Aus dem Rentnerleben-Berichterstatter“.
Da ich niemanden beeinflussen will irgendetwas zu kaufen oder zu tun, woran ich mitverdiene, möchte ich auch kein Influencer mehr werden, wie einige der o.g. Schüler. Der neuerdings viel genutzte Begriff „Content creator“ dagegen erscheint mir für einen Schreiberling passender. Allerdings muss ich gleich erst einmal googlen, was die genau machen.

Genießen Sie den Sommer!

Ihr
Andreas Geist